Wednesday, March 14, 2012

Geschichten aus dem Rettungsdienst

Nun ist der Alltag eingekehrt und es ist ein bisschen ruhig geworden um den Rettungsdienst. Es vergehen Tage, da ruft uns keiner an, so dass wir schon unsere Verbindung überprüfen, ob wir überhaupt erreichbar sind. Und dann sind wieder Tage, da hocke ich nur im Auto, umrudere Schlaglöcher, entstaube  jedes einzelne Spritzenpäckchen und man glaubt es kaum, wir retten Menschenleben!

Ein besonderer Tag dieser Sorte begann am Sonntag Abend, als mein Fahrschüler und Anästhesist zum ersten Mal selbst im Einsatz das Lenkrad schwang und zweimal den Äquator gequert und 60km später eine Mutter mit Geburtsstillstand ins Krankenhaus brachte.
Froh, das das beängstigende Schweigen des Notfalltelefons gebrochen wurde, hörte ich nachts halb 2 aus meinem Telefon Philips Stimme: "Halloho, bist du wach? Wir haben einen Notfall..." Also nix wie los zum Auto und wieder Slalom um die Schlaglöcher. Diesmal wurden wir zum ersten Mal von einer Privatperson angerufen, was uns natürlich sehr gefreut hat. Ein Bekannter der Familie fing uns an der "Hauptstraße" ab und dann ging es durch die Bananenplantage direkt zum Haus der Familie. Da standen sie des nachts mit gepackten Koffern und in den Armen das kränkliche Kind, fertig zur Abfahrt. Da wollte die Fahrerin Annett nur noch schnell, ohne Patienten im Wagen, in der kleinen Einfahrt umdrehen. Und ich weiß nicht wie ich so viel Vertrauen in meine geliebte Ambulanz haben konnte, oder war es die nächtliche Verträumtheit, die mich den Weg so fehl einschätzen ließ? Plötzlich stand ich auf dem Süßkartoffelfeld und... naja... mit Süßkartoffeln hat's mein Ford scheinbar nicht so... und wollte sich lieber vergraben. Da standen wir nun nachts um drei und holten die Hacke raus. Das Feld wurde planiert, mit Steinen gepflastert und auch eine alte Tür half um Ambu zu befreien. Wo ist eigentlich die Feuerwehr wenn man sie braucht? 45min später hatten wir es geschafft, dem Kind geht es wieder gut, scheinbar hat jemand versucht es zu vergiften... Das sind aber alles nur Spekulationen. Was bleibt ist ein gebrochener Auspuff und ein gespaltenes Verhältnis zu Süßkartoffeln.
Das gesamte Ausmaß des nächtlichen Einsatzes wurde erst am nächsten Morgen deutlich. Da wollte ich nur mal schnell durchwischen und konnte mich vor Staub nicht retten. Ich kann von mir behaupten, dass mir inzwischen jedes einzelne Verbandspäcken schon persönlich begegnet ist. Mehrfach. Das nächste mal, wenn ich entstauben sollte, dann geb' ich ihnen Namen! Der dreistündige Putzmarathon sollte auch direkt mit einem Einsatz auf staubiger Straße belohnt werden.
Nach diesem Einsatz war es Philip und mir genug. Das klappern des Auspuffs (zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass er gebrochen war) und das ewige entstauben mussten endlich ein Ende haben. Wir fuhren also in die Stadt zur Werkstatt und versuchten, nach vergeblichem Antreffen des Werkstattmeisters, zumindest eine Art Staubvorhang für unsere Verbandsmittel zu bekommen. Aber nein, die Verhandlungen um den Preis dauerten noch an, da klingelte schon wieder das Telefon:

Ein Neugeborenes mit schwerer Atemnot in einem Health Center ca. 16km von uns entfernt. Und dieser Einsatz sollte mich eine ganz neue Bedeutung von "Behandlung am Ort" lehren. Nach ca. 30min erreichten wir das HC. Nofallkoffer in der Hand, Absaugpumpe?, verdammt noch im Auto. Aber die Wege sind ja nicht so weit. Die Hebamme berichtete: Das Kind habe Mekonium aspiriert, sie haben nichts zum absaugen, nur einen Beatmungsbeutel. Dem Kind ginge es schon besser, aber sie müssen es immer wieder beatmen. Die Hebamme hatte kaum zu Ende gesprochen da rief mir Philip (er ist übrigens der Anästhesist) zu: "Annett, ich brauche ein Laryngoskop, einen Tubus Größe 3 und die Absaugpumpe!" Während Philip sich die Handschuhe überstreifte lief ich nun zum Auto zurück und reichte dann fein das Intubationsbesteck an und in null-komma-nix atmete der kleine zum ersten mal ein bisschen erleichtert. Noch mal schnell Beatmet und wieder intubiert, noch mal abgesaugt... Einsatz beendet. Dem Kind geht es gut.

Und das Auto? Naja... da werde ich den Verbandspäckchen wohl doch Namen geben... ;-)

Monday, March 5, 2012

Die Rettung naht...

Wir üben ... wie mit den Tragen?
Zum letzten Weihnachtsfest hat mir das Christkind zwei Ambulanzen geschenkt. Lang hatte ich drauf gewartet und so hielt sich die Vorfreude kaum noch in Grenzen, endlich mit dem Aufbau des Rettungssystems zu beginnen.
So bin ich also Anfang Januar wieder nach Ibanda umgezogen. Mein altes Haus stand noch für mich bereit und auch meine Teller noch im Schrank und so sollte es beginnen.

Im Vorfeld habe ich mir einige Gedanken machen müssen.
Mein größtes Problem war, dass ich kaum Berufserfahrung habe, der Sprache nicht mächtig bin und mich schlecht mit pädiatrischen Notfällen bzw. Malaria auskenne.
Das größte Problem des Chefarztes war, dass die Patienten wahrscheinlich nicht zahlen würden.

Es mussten also Lösungen her. Die erste Lösung war recht einfach. Da ich eigentlich ein Ambulanz-Team schulen sollte, fand ich es sinnvoll mir ein Team zusammen zu stellen, mit dem ich gemeinsam die Notfälle herausarbeiten kann. Das bedeutete also ich brauchte einen Anästhesisten (hier machen das speziell geschulte Krankenpfleger), eine Krankenschwester, die sich mit allem gut auskennt und ganz wichtig, eine Hebamme. Dr. Emmanuel Byaruhanga (Chefarzt) hat sich dieser Aufgabe sehr angenommen und mir wirklich ein phantastisches Team zusammen gestellt. Nun sind die Aufgaben klar verteilt, mein überdurchschnittlich qualifiziertes Fachpersonal übernimmt die Patientenbetreuung, ich übernehme den Kampf mit den Straßen (oder eher Pisten?) falls Francis unser Fahrer und viertes Team-Mitglied im Krankenhaus eingespannt ist. Und natürlich bin ich für alle administrativen Dinge zuständig. Nennt mich also Leiter Rettungsdienst. ;-)

Sicherheit geht alle an!
Das nächste Problem wollten wir durch größtmögliche Transparenz minimieren. So haben wir also den Verbrauch des RTWs ausgerechnet und sind anschließend zu allen umliegenden Health Centern gefahren um die frohe Botschaft es Rettungsdienstes zu verkünden und gleichzeitig auch auf die Kosten hinzuweisen. Bei diesen Besuchen haben wir immer wieder gemerkt, dass unsere Preise vergleichsweise sehr günstig sind, was sich auch darin gezeigt hat, dass wir seit Beginn fast täglich einen Einsatz haben und es, bis auf eine Ausnahme, nie Probleme mit der Bezahlung gab. Ich persönlich finde das sehr beachtlich, denn die Benzinkosten, die durchaus auch mal 20€ übersteigen können, sind für einige schon eine große finanzielle Belastung. Umso mehr freut es uns, dass die Ambulanz so viel positive Resonanz erfährt.

Nun ist unser größtes Problem, einen Fahrer zu haben, der nur für die Ambulanz da sein kann. Francis ist doch sehr in die Krankenhausaktivitäten eingespannt und nur zu 50% erreichbar. Die anderen 50% übernehme ich und hoffe immer, dass mir jemand bescheid sagt, wenn der Fahrer weg ist, aber dieser Traum soll noch nicht ganz in Erfüllung gehen, so dass die letzten 2 Wochen, wo ich nicht da war, leider diese 50% nicht erreicht werden konnten. Glücklicherweise ist man es hier gewohnt, dass man sich nie 100%ig auf etwas verlassen kann, so dass wir keine Klagen am Hals haben und die Menschen fähig sind sich größtenteils selbst zu helfen.

Komisches Gefühl als Patient!
Unser Rettungsdienst sieht also bis jetzt folgendermaßen aus. Unser Einzugsbereich ist der gesamte District Ibanda und Teils auch angrenzende Districts, die üblicherweise in unser Krankenhaus verlegen. Dh. die Anfahrtswege können bis zu 60km weit sein und bei der Straßenbeschaffenheit auch mal 2-2,5h dauern.

Im Moment sind die meisten unserer Patienten Mütter, die in ihrem Health Center entbinden wollen, es aber zu Komplikationen gekommen ist bzw. Komplikationen sehr wahrscheinlich sind. Ibanda Hospital ist in diesem Umkreis das einzige Krankenhaus in dem Kaiserschnitte möglich sind. Wir fahren also immer unter Entbindungsbereitschaft, aber bis jetzt haben es alle ins KH geschafft.
So haben wir zum Beispiel neulich eine Mutter aus einem HC entführt, wegen der wir eigentlich nicht gerufen wurden, die allerdings sehr schlecht aussah. Es stellte sich heraus, dass es die neunte Schwangerschaft war, das Baby wirkte riesig, die Geburt hatte sich schon ziemlich hingezogen, die Mutter war HIV-positiv und das HC hatte noch nicht mal ein Blutdruckmessgerät. Sie hat dann 10min nachdem wir im KH angekommen waren spontan entbunden und Mutter und Kind sind wohl auf. Wäre es dort allerdings zu Komplikationen gekommen, wären Kind oder Mutter und Kind nicht mehr am Leben.
Die andere Patientengruppe sind Säuglinge bzw. Kleinkinder mit Malaria und daraus resultierender Anämie, die Atemnot haben. Oft gibt es in den größeren Health Centern kein Blut, bzw. halten die kleineren HC kein Blut vor, so dass diese Kinder zu uns verlegt werden.

Hebamme Jane gegen den Staub gewappnet
Wir haben eine eigene Notfall-Nummer und das Nofall-Handy und die Autoschlüssel hat immer der Dienst habende Rettungsmedizinmann, der oder die dann den Fahrer informiert, und fragt, ob die Hebamme auch mitkommen will, denn sie ist bei unseren Notfällen meistens die Frau der Stunde. Bis wir losfahren dauert es ungefähr 15min. Das ist eigentlich eine gut Zeit, bedenke man, dass wir nicht in einer Wache sitzen und nur die Schuhe zumachen müssen, sondern von unseren Häusern ins Krankenhaus kommen müssen.
Der größte Zeitgewinn liegt meistens Abends, wenn OP und Labor geschlossen sind, dann können wir nämlich schon vom Ort des Geschehens anrufen und die OP-Vorbereitungen einleiten lassen bzw. das Labor wecken.

Jetzt arbeiten wir daran uns auch traumatologisch weiterzubilden und wollen mit der Verkehrspolizei zusammenarbeiten, so dass wir bei Unfällen informiert werden. Außerdem wollen wir versuchen das System auch in den Dörfern zu etablieren und nicht nur an HC angebunden sein. Denn die meisten Mütter die sterben, versuchen tagelang in den Dörfern zu entbinden und erst wenn es ihnen richtig schlecht geht, weil der Uterus rupturiert ist, denkt jemand daran sie ins KH zu bringen, wo ihnen auch nicht mehr geholfen werden kann...

Es liegt also noch ein großes Stück Weg vor uns, aber wir sind hoch motiviert, die Arbeit macht Spaß und wir verzeichnen Erfolge, so dass wir optimistisch nach vorn blicken. :-)

Bis bald!